Lebenslauf Bernhard Neumann
Im Jahr 1882 wurde Richard Wagners „Parzival“ uraufgeführt und Robert Koch entdeckte den Tuberkelbazillus. Im Mai wird der Dreibund zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien geschlossen, in Kiel findet die erste „Kieler Woche“ statt und in Wien brennt das Ringtheater ab – 450 Todesopfer. 425.000 Menschen verlassen Deutschland 1882 und wandern aus.
Am 24. Dezember 1882 ist Bernhard Wilhelm Neumann in Spitzkunnersdorf, Amtshauptmannschaft Zittau, Kreishauptmannschaft Bautzen,
Königreich Er besucht die Schule dort und darf dann auf die Landwirtschaftliche Lehranstalt nach Bautzen, als Jüngster kommt er ja für die Weiterführung des elterlichen Gehöftes nicht in Frage. In dieser Zeit leistet er auch seinen zweijährigen Militärdienst, vom 30. Oktober 1902 bis 2. September 1904. Als Junge hatte er sich eine schlimme Fingerverletzung zugezogen (er hatte in den mittels Handkurbel betriebenen Rübemhäcksler gelangt). Als sein Vater vom Arzt hörte, daß wohl ein Glied des Fingers amputiert werden müsse, hatte er dem Arzt geantwortet, daß das überhaupt nicht in Frage käme: „Da wird ja der Junge nicht Soldat!“ Der Arzt hatte es dann irgendwie hingekriegt. Nach Abschluß der Schule 1907 und Anstellungen auf Rittergütern in Sachsen, so in Börnichen bei Zwickau, Rattwitz und Sohland bei Bautzen, Neukirchen bei Chemnitz, Nieder-Sohland und Klix bei Bautzen geht er im Oktober 1911 nach Schlesien. Vermutlich die großen Güter dort, aber auch die Nähe der preußischen Provinz zu seinem Geburtsort, haben zu dieser Entscheidung geführt.
Die erste Station ist das Rittergut Tschirnau im Kreis Neumarkt, wo auch seine spätere Frau, Berta Schmidt in Stellung ist. Die
beiden fackeln nicht Inzwischen hat Bernhard eine neue Stelle in Leipe Kreis Jauer, bei Frau von Hünerbein angetreten. Wie überhaupt der häufige Wechsel des Wohn- und Betätigungsfeldes typisch für ihn und die leidtragende Familie wird. Wenige Monate später bricht der 1. Weltkrieg aus und Bernhard wird zu den Waffen gerufen.
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Bernhard Wilhelm Neumann Eintragungen im Militärpaß Militärpaß ausgestellt am 30.10.1902 - Diensteintritt an diesem Tag als Landrekrut, Entlassung 23.09.1904 (Reserve) - 27.06.1914 - 10.07.1914, 14-tägige Übung beim Bez. Kommando Chemnitz - 06.08.1914 Eingezogen (Mobilmachung) - 22.08.1914 Verwundung durch feindliches Schrapnellfeuer - Feldlazarett - 06.11.1914 -10.01.1915 Rekrutendepot FeldartillerieReg. 41 - 11.01. - 16.05.1915 Felddepot Feldartillerie Reg. 41 (Glogau) - 17.05.1915 - 11.11.19165.Ersatzbatterie Feldart.Reg.41 - 28.07.1915 zum Gefreiten ernannt - 17.09.1915 zum Unteroffizier befördert - 12.11.1916 - 15.09.1917 FIak Gruppe 2O (Posen) - 08.01.1917 - 11.08.1917 Stellungskämpfe vor Verdun - 10.07.19 17 Auszeichnung EK II - 16.09.1917 - 17.12.1918 Zum Flakzug 170 versetzt (Flakbatterie 771) - 12.08. - 10.10.1917 Abwehrschlacht vor Verdun - 19.10. - 22.10.1917 Stellungskampf am Chemin des Dames - 23.10.1917 Gefecht bei Chavignon - 24.10. - 02.11.1917 Nachhutkämpfe am und südl. der Ailette (Ailette-Kanal?) - 03. 11. - 26.11.1917 Stellungskampfe vor Reims - 15.02.1918 zum Sergeanten befördert - 09.03. - 20.03.1918 Stellungskämpfe bei St. Quentin - Ab 21.03.1918 Große Schlacht in Frankreich, Durchbruchsschlacht bei St. Quentin - 23.03. + 24.03.1918 Kämpfe bei Übergang der Somme und Crozet Canal zwischen St. Quentin und Tergnier - 25.03. - 31.03.1918 Verfolgungskämpfe bei Montdidier und Noyon - 11.04.1918 Auszeichnung Friedrich August Medaille in Silber - 07.04. - 02.06.19 18 Kämpfe an der Avre bei Montdidier und Noyon - 09.06. - 13.06.1918 Schlacht zwischen Montdidier und Noyon - 14.07. - 01.08.1918 Kämpfe an der Avre und an der (?) - 30.07.1918 Verwundeten Abzeichen “Schwarz“ - 09.08 - 03.09.1918 (?) - 04.09. - 18.09.1918 Kämpfe an der Siegfried Front 1918 - 19.09. - 09.10.1918 Kämpfe an der Siegfried Front 1918 Kämpfe in und vor der Hermannsstellung - 05.11. - 11.11.1918 Kämpfe in der Antwerpen-Maas Stellung - 12.11 .1918 Räumung des besetzten Gebietes und Marsch in die Heimat - 17.12.1918 infolge Demobilisiereung entlassen nach Leipe Krs. Jauer / Schl.
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Bernhard, 2. v. r. in Glogau, 1915 | 1. v. l. in Frankreich, 1917 | 1. v. r. vor Verdun, 1917 |
Leipe Kreis Jauer mit evangelischer Kirche, die heute nicht mehr steht
Lebenslauf von Berta Schmidt, verh. Neumann
Im Jahr 1893 entwickelt Rudolf Diesel seinen Motor, schreibt Karl May seinen Winnetou, Tschaikowski stirbt und in England wird die Labour Partei gegründet. Bei 40% der Städtischen Bevölkerung in Deutschland ist TBC die Todesursache.
Berta Anna Martha Schmidt wurde als jüngstes von 3 Geschwistern am 20.Oktober 1893 in Belkau (1938 in Weißenfeld umbenannt) Kreis Neumarkt in Schlesien geboren. Ihre Mutter, Berta, geborenen Seidel war mit 5 Kindern Witwe geworden, der erste Mann war in der Oder ertrunken. In zweiter Ehe, mit Bertas Vater Johann Karl August Schmidt, hatte sie nochmals die drei Kinder, Berta, Helene und Richard. Dann starb sie und der Vater von Berta heiratete wieder und hatte nochmals zwei Kinder.
Berta Schmidt geht im Nachbarort Gloschkau in die katholische Schule und ärgert sich immer sehr, daß sie ihre Schuhe nicht mit einem Schuhputzmittel sondern nur mit Lederfett (was man selbst herstellte) pflegen durfte. Die Schuhe glänzten nicht!
Sie erzählte auch, daß ihr Vater jähzornig war. Er warf ihr einmal am Mittagstisch heiße Kartoffeln ins Gesicht, weil sie ihm widersprochen hatte.
Ansonsten wollte ihre Schwester Helene, die 5 Jahre älter war, sie immer etwas erziehen, was ihr gar nicht gefiel.
Eine praktische Einrichtung der damaligen Zeit war, die Mädchen nach der Schulzeit „in Stellung“ zu geben. Auf dem Lande gingen sie meist zu einem größeren Gehöft, waren dort eine billige Arbeitskraft. Wenn sie Glück hatten, lernten sie viel, Hausarbeit vor allem. Sie sollten ja einmal eine gute Hausfrau und Mutter abgeben.
So hatte das Schicksal schon vorgesorgt, daß Berta und Bernhard im selben Gutshof, nämlich in Tschirnau, ein Nachbarort von Belkau, angestellt waren, sie „in Stellung“, er als Gutsinspektor.
Es war dann nur eine Frage der Zeit, wann die Beziehung Folgen hatte.
So wurde im Januar 1914 geheiratet (Berta konvertiert und wird evangelisch) und im Mai wurde Tochter Dora Helene geboren. Großvater Bernhard
hatte inzwischen eine Inspektorenstelle bei Frau von Hühnerbein in Leipe Krs. Jauer angenommen.
Der erste Welttkrieg begann und Großvater mußte seiner vaterländischen Pflicht genügen. Immer, wenn er Urlaub bekam, ließ er etwas da, wie es
Großmutter später formulierte.
So wurde 1915 Sohn Johannes und 1916 Sohn Helmut geboren.
Großmutter Berta hatte Arbeit und Sorgen genug, zumal Großvater Bernhard schon im August 1914 verwundet im Lazarett lag. Es tat ihr sicher gut, daß Schwager Herrmann in Spitzkunnersdorf, der Bewirtschafter des väterlichen Neumann´schen Gehöftes, der Mutter mit den 3 Kindern Gastfreundschaft gewährte. Die nebenstehende Aufnahme wurde zu Weihnachten 1916 in Spitzkunnersdorf gemacht.
Der 1. Weltkrieg endete mit dem Waffenstillstandsgesuch der Mittelmächte vom 5. Oktober 1918. Deutschland mußte dann den unseligen Versailler Vertrag am 28. Juni 1919 unterzeichnen. Am 10. Januar 1920 wurde er ratifiziert. Der unbändige Appetit der meisten Nachbarn Deutschlands auf deutsches Land wurde mit diesem Vertrag erst einmal gestillt. Am Ende des zweiten Weltkrieges ging das von den östlichen Nachbarn, wider aller Vernunft, Menschlichkeit und europäischer Verantwortung, weiter.
Ab hier verfolgen wir Berta und Bernhard Neumanns gemeinsamen Lebensweg.
Mit jedem Alten aus unserem Stamme, der leise heimgeht in Gottes Erfüllung,
zerfallen Bilder der Heimat zu Staub. Es sterben Stätten der Vätergeschichte,
der Klang der Muttersprache verstummt, und das im Gedächtnis Beschworene schweigt.
Das Mitgeteilte vergessen die Enkel.
Mit jedem Alten aus unserem Stamme, der sterbend aller Erinnerung entsagt,
verlieren wir alle ein Stück Heimat, zum zweiten Male — unwiederbringlich.
(Gerhard Kukofka, Oberschlesien)
Familie Neumann in Schlesien und Sachsen
Konradswaldau Kreis Trebnitz
Der weitere Weg der Familie ist vor allem durch einen sehr häufigen Ortswechsel gekennzeichnet. So nahm Großvater Bernhard 1919 schon wieder eine neue Stelle in Konradswaldau Kreis Trebnitz an. Meine Mutter, Dora Leistritz, hat in Ihren Erinnerungen auf dieser Internetseite darüber geschrieben.
Familie Neumann in Konradswaldau
Immerhin hält es Großvater hier in Konradswaldau bis 1925 aus. Man muß sich dabei vorstellen, daß ja nicht nur der Umzug selbst, sondern das Herausreißen der Kinder aus Schule und gewohnter Umgebung Probleme bereitete. Gutsinspektor Bernhard Wilhelm Neuman ließ sich da aber nicht von der Familie in seine Entscheidungen hineinreden. Er war der „Chef“, wie er auch von seiner Familie genannt wurde. Großmutter (wir sagten in Schlesien „Großmuttel“) Berta wäre gern in Konradswaldau geblieben. Leider starb der Gutsherr während einer Reise am Bodensee. Großvater erwarb sich noch Verdienste bei der eiligen Fertigstellung der Familiengruft. Aber er hatte schon einen neuen Einsatzort vorgesehen.
Brandschütz Kreis Neumarkt
1925 ging es nach Brandschütz Kreis Neumarkt. Die Nähe zu Breslau war insofern ein Vorteil, als die Kinder, Dora und Johannes („Hans“) in Breslau die „höhere Schule“ besuchen konnten.
Ich hatte im Jahre 2005 Gelegenheit, mir diese Gegend anzusehen. Das im Tudorstil errichtete Herrenhaus leuchtet schneeweiß und fungiert jetzt als Hotel. Das beste Zimmer ist das Frey-Zimmer, benannt nach
dem Gutsbesitzer, Major Frey, der Gutsherrschaft, bei der Großvater als Inspektor angestellt war. Ein Sohn der Freys hieß Wolfgang und war die erste Jugendliebe meiner Mutter. Ihm verdanke ich
meinen Vornamen. Es ist eine sehr schöne Gegend, ein großer See und die Nähe zur Oder machen den Reiz der Landschaft aus. In der Ferne die Türme von Breslau tun ein Übriges.
Wieder 80 Jahre zurück, zur fünfköpfigen Familie Neumann. In Brandschütz hätte die Familie gut bis zur Pensionierung von Großvater leben können. Aber die Entscheidungsebenen bei der Herrschaft entsprachen nicht Bernhards Vorstellungen. Kurz und gut, „Zirkus Neumann“ ging wieder auf Tournee. Wahrscheinlich war in Großvater schon lange die Idee gereift, daß er seine landwirtschaftlichen Talente doch auch recht gut als selbständiger Unternehmer einsetzen könne. So wurde aus dem Gutsinspektor der Gast- und Landwirt, zunächst im Eulengebirge.
Schlesisch-Falkenberg Kreis Waldenburg
So kam, was kommen mußte, Bernhard pachtete eine heruntergekommene „Klitsche“ im Eulengebirge, wohin die Familie dann im April 1928 umzog.
Der sich stetig entwickelnde Fremdenverkehr und die Gebirgslandwirtschaft brachten zwar steigenden Umsatz aber auch Arbeit, bis zu Umfallen. Großvater hielt es in der Viehhaltung mit den Bauern der Alpenregionen. Das Vieh kam im Frühjahr auf die Weide und wurde erst im Herbst wieder in die Ställe gebracht. Melken (natürlich von Hand), Kalben und Tränken geschah alles auf der Gebirgsweide. Erwähnenswert ist noch, daß auf dieser Höhe auch Kartoffeln und Getreide angebaut wurden. Die Felder gingen bis an die Bergränder. Davon ist heute nichts mehr zu sehen. |
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Bauerngut Falkenbaude | Kartoffelernte auf 600 m Seehöhe |
Erwähnen möchte ich auch einige Menschen, die dort in´s Leben der Großeltern getreten waren. So gab es das Gastwirtsehepaar Niedenführ, aus dem Nachbardorf Dorfbach. Er war ein Original, über das man eine eigene Internetseite gestalten könnte. So hatte er schon zu Lebzeiten seinen Sarg gekauft und ausprobiert. Die Besucher seiner Gastwirtschaft bekamen ihn gezeigt.
Herr und Frau Stuart waren Engländer und Stammgäste bei den Großeltern. Herr Stuart war pensionierter Stallmeister und im Dienst beim Fürsten von Pleß gewesen.
Herr Raupach, der Dorfpolizist von Wüstewaltersdorf, auch für Schlesisch-Falkenberg zuständig – mit ihm konnte man Pferde stehlen.
Karl Leistritz war der Chef der Leistritz-Kapelle, die regelmäßig zum Tanz im Saal aufspielte. Der jüngste Sohn, Fritz, heiratete 1935 Tochter Dora und wurde mein Vater.
Der Schwarzer-Fleischer war durch Geschäftsbeziehungen und als Stammgast mit den Großeltern verbunden.
Durch die Heirat der Tochter, Sohn Hans ging als „Zwölfender“ zur Wehrmacht, war am Ende der Zeit in Schlesisch-Falkenberg die Familie dann nicht mehr komplett unter einem Dach. Nur der Jüngste, Helmut, ging den Großeltern noch zur Hand, was möglicherweise für mehrer Jahre nach dem Krieg die Ursache für eine Vertimmung zwischen Vater und Sohn war. 1936 endete der Pachtvertrag. Die schwere Arbeit im Gebirge war sicher mit entscheidend, daß Großvater als neues Domizil sich nun wieder die schlesische Ebene ausgesucht hatte. |
Eisendorf Kreis Neumarkt
Jetzt aber war der Krieg mit seinen schlimmen Folgen für Deutschland noch nicht am Horizont zu erkennen. Die Großeltern partizipierten vom allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung. Der Gasthof bekam gleich einen neuen, ganz aktuellen Namen: „Gasthof zur Reichsautobahn“. Großvater sah seinen Lebenstraum schon realistisch auf dem besten Wege der Verwirklichung. Er wollte sich in seiner Heimat, der sächsischen Oberlausitz, ein Haus kaufen und dann dort mit seiner Bertl (so nannte er seine Frau zärtlich, was aber eher selten war) den Lebensabend verbringen. Jetzt hieß es aber noch einmal fleißig arbeiten, damit das erforderliche Geld zusammen kam. Großvater blieb auch gewissen Grundsätzen seines Wirtschaftens treu, so hielt er sich nie, ganz gleich wie groß das Anwesen war, Pferde. Die gesamte Feldarbeit mußten Ochsen bei ihm verrichten. Er meinte immer, Pferde seien in der Haltung zu teuer. Wenn man heutige Lebensweisen dagegen hält: Man hält sich Pferde nur zum Reiten und die werden auch noch große Strecken mit Spezialanhänger am Auto durch die Gegend gefahren. Es hätte alles so schön enden können, der Pachtvertrag lief bis 1946, da wären Großvater 64 und Großmutter 53 gewesen. Man hätte sich nach einem arbeitsreichen Leben mit gutem Gewissen zur Ruhe setzen können. Aber, wie wir wissen, standen da ganz andere Dinge im Buch des Schicksals. |
1938 wurden aus Berta und Bernhard Neumann Großmuttel und Großvatel. Tochter Dora brachte ihr erstes in Wüstewaltersdorf zur Welt: Sohn Wolfgang, der mit 9 Pfund und 200 Gramm dafür sorgte, daß der Bibelspruch, „…mit Schmerzen sollt ihr gebären…“ auch eingehalten wurde. Schuld daran war aber Dr. Bösenberg, der meiner Mutter riet, als sie schwanger wurde, jetzt müssen sie aber für zwei essen!
Für den ersten Enkel werden die mütterlichen Großeltern später für viele Jahre zu „wichtigen Bezugspersonen“ (wie man das heute auszudrücken beliebt). Den Großeltern verdanke ich sehr viel!
Die Zeit verging, inzwischen war auch Sohn Helmut zu Reichsarbeitsdienst und Wehrmacht einberufen. Wie er später erzählen wird, war das für ihn die erste große Abwechslung im eintönigen Leben als Gehilfe seines Vaters in der Landwirtschaft. Er hatte nun Gelegenheit andere Gegenden seiner schönen schlesischen Heimat kennenzulernen.
Die politischen Spannungen in Europa nahmen zu, Spanischer Bürgerkrieg, Sudetenkriese, Anschluß Österreich ans Reich, das sich von da ab Großdeutsches Reich nannte.
1939 war es vorbei mit wirtschaftlichem Aufstieg, Geldverdienen am Fremdenverkehr und rosigen Zukunftsaussichten. Der schlimmste Krieg der Weltgeschichte, der 2. Weltkrieg mit 50 Millionen Toten nahm seinen Lauf.
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Gastwirtin Berta Neumann, 1940 | Landwirt Bernhard Neumann, 1940 | Hochzeit in Eisendorf, 1941 |
Beide Söhne, Hans und Helmut, waren von Anfang an dabei. Hans als Oberschirrmeister (Oberfeldwebel), der mit in Paris einmarschierte und Helmut als Wehrpflichtiger, der es bis zum Unteroffizier brachte und im April 1945 bei letzten Kämpfen mit den Amerikanern bei Sangerhausen den rechten Arm verlor.
1941, September, heiratete Sohn Hans in Eisendorf (Standesamt Dromsdorf). Es war vielleicht das letzte Mal, daß Verwandte und Bekannte Im Februar 1942 wurde mein Vater zum Kriegsdienst einberufen, da holte uns Großmuttel nach Eisendorf. So habe ich noch viele persönliche Erinnerungen an das kleine Dorf. Ganz deutlich erinnere ich mich an die beiden Ostarbeiter, die die Großeltern zugewiesen bekamen, Luci, die Polin und Metro, den Ukrainer. Die für uns Kinder, meine Schwester Edith und ich, recht unbeschwerte Zeit in Eisendorf ging 1944 zu Ende. Der Bürgermeister drohte damit, unsere Wohnung zu belegen, wenn wir nicht zurückkämen. So Großvatel und Großmuttel, aber auch uns, standen schlimme Zeiten bevor! So ging es mit der Bahn von Lohnig über Striegau, Schweidnitz dann mit der Weistritztalbahn bis Hausdorf und mit der Kleinbahn bis Wüstewaltersdorf in heimatliche Eulengebirge. Die Rote Armee hatte ein Ziel und das hieß: Berlin. Es wäre zu mühsam und zeitaufwendig gewesen, das gesamte Gebiet zu erobern. So stießen die Russen in der schlesischen Ebene vor und ließen das Gebirge vorerst „links liegen“. Das bedeutete für uns, in Eisendorf waren die „Befreier“ (wie sie von manchen Deutschen in vollkommener Verkennung der Tatsachen sogar genannt werden) am 9. Februar und in Wüstewaltersdorf erst am 8. Mai 1945. Für die Einwohner der beiden Dörfer bedeutete das, als die Rote Armee in Eisendorf (bequem von der in tadellosem Zustand befindlichen Autobahn, nebst Abfahrt) ankam, haben sie gewütet, wie einst Tschingis-Khan. In Wüstewaltersdorf war der Krieg gerade zu Ende, als die Russen eintrafen, was sie aber nicht hinderte, Ihrem Ruf gerecht zu werden, nur nicht mehr ganz so grausam, wie in der schlesischen Ebene. Ein Gerücht besagte damals, Stalin hätte seinen Soldaten nach dem Waffenstillstand noch 3 Tage Zeit zum Plündern, Vergewaltigen und Rauben gegeben. Am Abend des 8. Februar fuhren Panzerverbände der Roten Armee auf der Autobahn Richtung Breslau. Das gab für eine Handvoll Familien den Ausschlag. Die übrigen Einwohner zögerten noch, es war immer hin tiefster Winter, mit viel Schnee und -20°. Sie haben es dann bitter bereut, denn am 9. Februar, früh gegen 8 Uhr besetzten sie das schutzlose Eisendorf und wüteten, daß es die schärfte Nazipropaganda nicht schlimmer geschildert hatte. Der erste Tote soll der Nachbar der Großeltern, Herr Freudenreich, gewesen sein, ein beinamputierter Rentner. Er wollte die Vergewaltigung seiner Frau verhindern. Frau Hildegard Sauer hat den Russeneinmarsch in Eisendorf, auf dieser Internetseite, sehr realistisch geschildert. Die „Befreier“ verschonten bei ihren Massenvergewaltigungen auch die Ostarbeiterinnen nicht.
Das fluchtbereite Häuflein mit dem Bürgermeister von Eisendorf, Herrn Niepold als Treckführer, damals sagte man Treck für Flucht, machte sich zum Glück schon gegen 4 Uhr früh auf den Weg und kam noch über die Autobahnbrücke, bevor die Russen sie sperrten. Die Fahrt ging über Gäbersdorf, Striegau bis Rohnstock Kreis Jauer, wo man in der Abenddämmerung ankam und auf einem Tanzsaal Quartier bekam. Der Treck hatte etwa 20 km zurückgelegt. Die Großeltern mit einem Ochsengespann! Bald nach Rohnstock trennten sich Bernhard und Berta Neumann von den anderen, die übers Riesengebirge ins Sudetenland wollten. Die Großeltern hingegen wollten nach Spitzkunnersdorf zu Bernhards Bruder Hermann. Über den weiteren Verlauf der Fahrt ist nur soviel bekannt, daß die Großeltern, verhältnismäßig unbeschadet, in Spitzkunnersdorf ankamen. Treckführer Niepold und seinen Leuten ist im Sudetenland von den Tschechen und Russen übel mitgespielt worden.
Foto: Mit freundlicher Genehmigung: Brauburger, Abschied von Lübchen, ECON-Verlag
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Spitzkunnersdorf Kreis Zittau Die lebensgefährlichen Situationen für die Großeltern sollten aber erst noch folgen. Die Rote Armee war von Spitzkunnersdorf noch weit entfernt und kam erst zu Kriegsende in das Dorf. Großvater Bernhard war ein unruhiger Geist, leidenschaftlicher Landwirt und Tierfreund. Ihn ließ es keine Ruhe, daß er seine Kühe, Schweine, Hühner und anderes Getier unversorgt zurücklassen mußte. Er fand keine Ruhe mehr, konnte nicht schlafen. So stand der Entschluß fest, zurück nach Eisendorf. Für den heutigen Leser mag das unverständlich sein. Aber Großvater war keine Ausnahme, viele Schlesier, die zunächst geflüchtet waren, versuchten, trotz aller Fährnisse, wieder in die Heimat zurückzukehren. Das Flehen und Betteln von Berta nutzte nichts – wie immer, setzte sich Bernhard durch. Er zog los, Richtung Schlesien. Schade, daß Großvater seine Erlebnisse nicht niedergeschrieben hat und sein Enkel nur Einzelelemente aus Bemerkungen oder kurzen Erzählungen zusammenfügen kann. Wie auch immer, Großvater kam bis Eisendorf, das von den Russen besetzt war. Ein Menschenleben war in dieser Situation nichts Wert. Keine Rechenschaft wurde verlangt, wenn eins ausgelöscht wurde. Großvater übernachtete sogar in seinem Gasthof zur Reichsautobahn, möglicherweise in seinem Bett. Im Gasthof waren aber auch Russen „eingezogen“. Unglücklicherweise war einer von Ihnen am nächsten Tag tot. Wer war der Verdächtige, natürlich Großvater Bernhard. Sie machten sich einen Spaß, mit Großvater „Erschießen“ zu spielen: An die Wand stellen, Gesicht zur Wand, Gewehr durchladen, So ging das ein Weile (das hat Großvater mehrfach erzählt). Zu seinem großen Glück hat ein älterer russischer Offizier ihm vermutlich das Leben gerettet, indem er dem Treiben ein Ende setzte. Großvater wurde aber in ein Melkkommando eingereiht. Die Rote Armee trieb alles Vieh aus den Bauernhöfen nach Rußland. Da ja Milchkühe regelmäßig gemolken werden müssen, hatte man diese Melkkommandos eingerichtet. Dort waren Deutsche gezwungen, den ganzen Tag Kühe zu melken (heute verwendet man dafür den Begriff „Zwangsarbeit“, allerdings hauptsächlich für Nichtdeutsche). Großvater mußte bei seinem Wiedereintreffen in Eisendorf, ohnehin feststellen, daß er sich um sein Vieh nicht mehr kümmern konnte. Es war entweder beim Schützenfest der einziehenden Roten Armee (sie schossen auf alles, was sich bewegte) getötet worden oder längst auf dem Weg nach Rußland. Diese Zerstörung der schlesischen Landwirtschaft war eine Ursache der Hungersnot nach dem Krieg. Auch die Großmutter von Hildegard Sauer ist in Eisendorf verhungert. Inzwischen näherte sich das Ende des Krieges und die Rote Armee auch Spitzkunnersdorf. Die beiden Frauen Großmutter Berta Neumann und ihre Schwägerin Lina Neumann beschlossen, den Amerikanern entgegenzugehen und Richtung Sudetenland vor den Russen zu flüchten. Großvaters Bruder Hermann war nicht zu bewegen, mitzugehen. Er blieb zu Hause. Die Grenze zum Sudetenland, die alte sächsisch-österreichische Grenze, war ja nur 2-3 km entfernt. Keiner konnte ahnen, daß sich die Tschechen schon des Gebietes bemächtigten und besonders unmenschlich zu den Deutschen waren. Die beiden Frauen wurden ausgeraubt, mißhandelt und kehrten nach langer Odyssey wieder ins inzwischen von der Roten Armee besetzte Spitzkunnersdorf zurück. Leider sind keine weiteren Einzelheiten überliefert. Auch Großvater gelang es dem „Melkkommando“ zu entkommen und sich bis nach Spitzkunnersdorf durchzuschlagen. Leider ist nicht bekannt, wer vor wem wieder eintraf. Großvater erzählte von dem Rückweg eigentlich nur, daß er in Gummistiefeln, die er vorher aufgeschlitzt hatte, damit sie für die Befreier unattraktiv waren, den größten Teil zu Fuß marschiert war. Er übernahm dann die Organisation in einem Nachbargehöft (Hauptmann), dessen Bauer im Krieg geblieben war. Sohn Helmut kam kurze Zeit später aus amerikanischer Gefangenschaft. Der rechte Arm fehlte. Dann traf Schwiegersohn Fritz Leistritz, mein Vater, mit zertrümmertem linken Arm dort ein. Er durfte nicht mehr nach Schlesien zurück. Im August 1946 war meine Mutter mit uns, nach dem Rausschmiß dann auch dort versammelt. Ich werde es in meinem Leben nie vergessen, daß Großvaters Bruder Hermann und seine Frau Lina uns alle bei sich aufgenommen haben. Die kleine Landwirtschaft (5 Hektar bzw. 20 Morgen) ernährte uns alle. Es muß uns wieder Wechsel ins Paradies vorgekommen sein. Denn wir hatten in Schlesien bitter Hunger gelitten, wie es meine Mutter auf dieser Internetseite geschildert hat. Großonkel Hermann war 10 Jahre älter als Großvatel, Jahrgang 1872 und hat sich dann aufs Altenteil zurückgezogen und das Gehöft an Großvater abgegeben. So wurde aus dem erträumten geruhsamen Lebensabend noch eine sehr arbeitsreiche Zeit, bis etwa Mitte der 50er Jahre Sohn Helmut mit seiner Frau Käthe, geborene Renger, den Hof weiterbewirtschaftete. Anfang der 60er Jahre traten sie in die LPG ein, was Großvater nicht mehr miterlebte.
Er starb 1956, Großmuttel folgte ihm 1968. Sie liegen beide im Neumannschen Erbbegräbnis auf dem Spitzkunnersdorfer Friedhof. Großvater blieb das ganze Leben bei seiner Überzeugung, kaisertreu und antikommunistisch. Großmutter konnte bis an ihr Lebensende die schlesischen Nebenflüsse der Oder auswendig hersagen: Links der Oder Oppa, Zinna, Hotzenplotz, Glatzer Neiße, Ohle, Lohe, Weistritz, Katzbach, Bober mit dem Queis und die Lausitzer Neiß` - rechts der Oder Olsa, Ruda, Birawka, Klodnitz, Malapane, Stober Weide, Bartsch. Sie war an ihrer Aussprache immer als Schlesierin zu erkennen, sprach den Dialekt , wie er um Dyhernfurth gesprochen wurde, also nicht das Gebirgsschlesisch, wie meine Leistritz-Vorfahren. Die Eltern von Schwiegertochter Käthe wurden übrigens am 9. Mai auf ihrem Gehöft von den Russen erschossen. Oswald und Hulda Renger hatten keine Chance, sich zu verteidigen. Nur dem beherzten Dazwischengehen einer ukrainischen Ostarbeiterin ist es zu verdanken, daß Tochter Käthe und ihre 9 Monate alte Tochter Heidrun, am Leben blieben. |
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Arbeit bis zuletzt, Bernhard Neumann, 1956 | Hühner waren ihr Steckenpferd, Berta Neumann, 1955 | Übernahme des Gehöfts durch Sohn Helmut, 1954 |
Lebenslauf Bernhard Neumann
Im Jahr 1882 wurde Richard Wagners „Parzival“ uraufgeführt und Robert Koch entdeckte den Tuberkelbazillus. Im Mai wird der Dreibund zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien geschlossen, in Kiel findet die erste „Kieler Woche“ statt und in Wien brennt das Ringtheater ab – 450 Todesopfer. 425.000 Menschen verlassen Deutschland 1882 und wandern aus.
Am 24. Dezember 1882 ist Bernhard Wilhelm Neumann in Spitzkunnersdorf, Amtshauptmannschaft Zittau, Kreishauptmannschaft Bautzen,
Königreich Er besucht die Schule dort und darf dann auf die Landwirtschaftliche Lehranstalt nach Bautzen, als Jüngster kommt er ja für die Weiterführung des elterlichen Gehöftes nicht in Frage. In dieser Zeit leistet er auch seinen zweijährigen Militärdienst, vom 30. Oktober 1902 bis 2. September 1904. Als Junge hatte er sich eine schlimme Fingerverletzung zugezogen (er hatte in den mittels Handkurbel betriebenen Rübemhäcksler gelangt). Als sein Vater vom Arzt hörte, daß wohl ein Glied des Fingers amputiert werden müsse, hatte er dem Arzt geantwortet, daß das überhaupt nicht in Frage käme: „Da wird ja der Junge nicht Soldat!“ Der Arzt hatte es dann irgendwie hingekriegt. Nach Abschluß der Schule 1907 und Anstellungen auf Rittergütern in Sachsen, so in Börnichen bei Zwickau, Rattwitz und Sohland bei Bautzen, Neukirchen bei Chemnitz, Nieder-Sohland und Klix bei Bautzen geht er im Oktober 1911 nach Schlesien. Vermutlich die großen Güter dort, aber auch die Nähe der preußischen Provinz zu seinem Geburtsort, haben zu dieser Entscheidung geführt.
Die erste Station ist das Rittergut Tschirnau im Kreis Neumarkt, wo auch seine spätere Frau, Berta Schmidt in Stellung ist. Die
beiden fackeln nicht Inzwischen hat Bernhard eine neue Stelle in Leipe Kreis Jauer, bei Frau von Hünerbein angetreten. Wie überhaupt der häufige Wechsel des Wohn- und Betätigungsfeldes typisch für ihn und die leidtragende Familie wird. Wenige Monate später bricht der 1. Weltkrieg aus und Bernhard wird zu den Waffen gerufen.
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Bernhards Eltern, etwa 1870 |
Ulkpostkarte vom Militärdienst 1904, Bernhard in der Mitte; Aufschrift des "Aeroplans" Flucht aus der Sandwüste Neuhammer (Schlesien) |
Der frischgebackene Inspektor, 1909 in Sohland |