Brief von Ernst Gottlieb Leistritz aus Wüstegiersdorf in Schlesien

Auf dem Bild, Ernst Gottlieb Leistritz mit Frau

Ernst Gottlieb Leistritz wurde 1820 in Nieder-Wüstegiersdorf, Kreis Waldenburg in Schlesien, geboren und erlernte im Nachbardorf Tannhausen das Müllerhandwerk. Seine Eltern waren Christian Gottlieb Leistritz und Johanna Eleonore geb. Seiler aus Wüstewaltersdorf Kreis Waldenburg.

Auf dem Bild, Ernst Gottlieb Leistritz mit seiner Frau

Danke an Robert Behnen in Kirksville/Missouri für die Bereitstellung der Unterlagen seiner deutschen Vorfahren.

1847:  Auswandererbrief von Ernst Gottlieb Leistritz 

St. Louis in nordamerikanischen Freistaat Missouri den 20 September 1847

 

Geliebte Eltern, Geschwister u. Freunde!

 

Die Liebe zu Euch u. das Verlangen eine Nachricht von Euch zu erhalten nöthiget mich zu schreiben den ich weiß daß Ihr schon längst einem Briefe entgegen gesehen habt weil ich versprach sobald ich in Arbeit gekommen an Euch zu schreiben u. daß will ich eben thun aber mit der Arbeit  hat es dieses Mal lange gedauert deshalb müßt Ihr mich entschuldigen, überdies da ich nicht mehr in der alten Welt sondern  in der neuen mich befinde – nämlich in Amerika, da die Reise zu Lande u. Wasser ziemlich  vier Monath gedauert so konnte ich nicht eher Nachricht von mir geben, doch jetzt schweige ich von allen u. beschreibe Euch meine ganze Reise bis nach Amerika, die Reise zu Land war den ersten vierzehn Tage sehr schlecht, den ich mußte viel Schnee u. Kälte erdulden, u. noch für einen Reisenden der grade das Gebirge passieren mußte wie ich, doch wurde es da ich etliche Tage gegangen war u. die sächsische Gränze erlangt etwas besser, den ersten Sonntag habe ich bei einem alten Bekannten gefeiert der vor mir beim Herrn Rischke war, hier habe ich mich etwas erholt, den ich konnte mich hier zwei Tage aufhalten, u. bin Montags erst wieder weiter gegangen, ich setzte meine Reise jetzt über Bautzen, Dresden, Meissen u. Leipzig weiter fort, die Witterung war so ziemlich gut, den zweiten Sonntag feierte ich in Leipzig, jetzt wurde es aber wieder schlecht je näher ich den Harz Gebirge kam desto ungestümer wurde es, Schnee u. Regen fiel abwechselnd sehr stark u. zuletzt solche starke Kälte, wie sie kaum den ganzen Winter gewesen war, doch beim laufen ging es immer noch so ziemlich, den mein Bindel machte mir tüchtig warm, so bald aber die Kälte nachließ u. warme Tage kamen, hatte ich meine Last, den ich fühlte daß ich zu schwer aufgepackt hatte, nun dachte ich Du wirst Dich nicht lange in Deutschland herum quälen keine Arbeit konnte ich nicht finden, die Müllerei ging allerwärts wegen mangel an Korn bedeutend schlecht, ich entschließ mich also schnell meine Reise nach Bremen zuzule(n)ken, u. einen Versuch zu machen mit dem ersten besten Schiffe nach Amerika zu segeln, den ich hatte den Vorsatz schon lange im Kopfe, u. jetzt mußte ich ihn vollführen, doch wußte ich nicht ob es mir würde so durch gehen weil ich keinen Paß außerhalb den deutschen Bunde hatte, doch hatte es hier keine Noth wer nur Geld hat dem steht in einer Seestadt die ganze Welt offen, es war den 19 Maerz wie ich in Bremen ankam, ich habe mich nicht lange aufgehalten, den anderen Tag ging ich zu einem Schiffsmäckler u. Acoordierte um einen Platz auf einem Schiffe daß nach Nord Amerika segelte, ich hatte auch das Glück eins zu treffen das nicht mehr lange liegen sollte, ich setzte mich demselben Tag noch auf ein Dampfschiff den das Seeschiff lag sieben Meilen unterhalb Bremen u. fuhr nach dem Ort wo das Schiff lag, hier müßten wir aber noch über acht  Tage liegen bleiben den wir hatten nicht den geringsten Wind u. zweiten fehlten noch einer Passagiere, den die Plätze waren noch nicht alle besetzt, doch bekamen wir die letzte paar Tagen im Maerz etwas Wind u. den ersten April ging es schon mit vollen Segeln in die offene See, wir waren gegen 260 Passagiere, u. alle recht lustig u. vergnügt daß wir endlich einmal vorwärts kamen, doch sollte das Lachen nicht lange dauern, der gute Wind wurde des Nachts zu einem kleinen Sturm, unser Schiff ging bald in der Luft, bald in der Tiefe, grade trafen die lieben Ostern zu dieser Zeit, ich kann noch sagen noch ein solche ärmliche Feiertage erlebt zu haben am Karfreitage fing sich die Seekrankheit schon bedeutend an, ich selbst habe mich müßen einmal Uebergeben, als den habe ich weiter keine Leiden nicht gehabt, viele müßten aber viel ertragen den bei manchen geht sie gut vorüber u. bei manchen schlecht, am besten wer sich bald recht brechen kann, es ist ein schreckliches Specktackel auf einem Schiffe mit so viel Menschen, Weiber, Kinder groß u. klein alt u. jung durch einander, bei stürmischen Wetter, die Kinder schreien die Weibsleüte jammern, die verschiedenen Ausleerungen des Magens, alles fliegt durch einander Kisten u. Kasten, das blechne Eßgeschirre was jeder Passagier muß haben, reiß von den Nägeln u. verursacht vieles Geklirr, auch fehlt nicht viel daß die Menschen aus den Bettstellen heraus oder einer dem anderen auf den Leib geschleudert werden, der einzige Wunsch ist bei den meisten wieder ans Land wenn sie nur könnten, manchen wollte sein Geld gern verlieren wenn er nur zu Hause geblieben wäre, bei guten Wetter ist es nicht viel Pläzsie auf einem Seeschiff mit so viel Menschen den alle müßen  im Zwischen Deck beisammen stecken wo weiter kein Fenster keine Thür, nichts als eine Treppe herunter führt zu dieser Treppe Lucke muß Luft u. Licht herein, bei großen Stürmen wird auch die noch geschlossen den da kann man sich zwar wählen unterhalb zu ersticken oder sich auf dem Vordeck von den herüber schlagenden Wellen naß gießen zu laßen, endlich nach den Oster Feiertagen ließ der Sturm etwas nach u. wir hatten guten Segel Wind, den 5 April kamen wir vor den englischen Kanal müßten aber wieder wegen verkehrten Winde 6 Tage herum kreutzen ehe wir konnten durch kommen, am 11 hatten wir wieder günstigen Wind daß wir mit 2 Tagen durch kamen daß ging es in den großen Ocean behielten noch jetzt 5 bis 6 Wochen guten Wind, die Passagiere wurden wieder alle gesund u. fröhlich bis auf wenige, gestorben sind 5 u. gebohren wurden 3 Kinder [nächste Wörter ausgebleicht] es ist aber schrecklich was mit den Todten erfahren wird den gleich nach dem Ableben werden die in Leinend genäht einen Sack mit Sand an die Beine gebunden u. im Wasser versenkt, es ist für einen gefühl(leichten) Menschen etwas außerndes aber es muß doch so geschehen, wer eine Seereise unternehmen thut, muß sich dieses bedenken, d. 11 May erblickten wir wieder Land, wir hatten viele Freude es war nehmlich die Insel St. Domingo von hier an hatten wir wieder schlechte Fahrt, den wir wurden durch alltäglichen Gewitter gestört u. die Winde kamen bald von allen Seiten her oder hatten diesweilen gar keinen, überhaupt ist es gefährlich nahe am Land zu sein bei Gewitterstürmen, doch kamen wir glücklich aber langweilig unserem Ziele immer näher, den 21 kamen wir in den Meerbusen von Mexiko von hier wäre unsere Reise bei mittlere Winde in 5 bis 6 Tagen geschehen, wir brauchten aber noch 9 den der Wind war sehr schwach den 29 erblickten wir endlich die Küste von Amerika da war Freude vorhanden daß doch endlich die Stunde der Erlösung nahe war, den wir hatten das Schiffsleben alle satt, erstens war schlechte Behandlung von Seiten der Matrosen u. zweitens die schlechte Schiffskost, den des Morgens schwarzen Kaffee der so gering war, daß wir lieber daß klare Wasser uns geben ließen u. Wasser Suppe machten, des Mittags stinkendes Fleisch mit Gemüße alles schlecht gekocht u. halb verdorben des Abends Thee, u. so war es alle Tage, Butter kriegten wir alle Wochen ungefähr ein viertel Pfund, da hieß es haushalten, die dritte Plage u. die schlimmste war das viele Ungeziefer, Läuse u. Fles hatten wir in Ueberfluß, den viele hatten auf der Landreise welche aufgefangen, u. sich nicht gereinigt, also nahmen sie hier bald überhand.  Unser Schiff ging nach der südlich gelegenen Seestadt New Orleans am Missisipi, weil aber die Stadt 20 Engl. Meilen Land einwarts liegt u. kein Wind ist so muß jedes Seeschiff von einem Dampfboot den Strom herauf geschlept werden den 1 Juny kamen wir nach der der Seestadt Orleans an, wir konnten nach 2 monathl. Reise wieder auf festen Grund u. Boden treten, jetzt wurde bald ein Glas Wein getrunken die jeder der nur Geld hatte that sich was zu gute, aus Freude gesund nach Amerika gekommen zu sein, aber es ist hier nicht alles Gold was glänzt, vielen von den Passagieren die mit nach St. Louis gereißt sind geht es nicht zum Besten, welche sind gestorben oder krank oder es geht ihnen sonst nicht gut, das Schlimmste in einem fremden Lande die Sprache, u. auch noch viel andere Leiden sind hier in Mengen die man in Deutschland gar nicht kennt so ist z.B. das gelbe Fieber  in Orleans gar zu hause, es sind diesen vergangenen Sommer wieder viele tausend gestorben auch giebt es hier viel Ungeziefer die Muskiten sind die schlimmsten von einer Art Mücke welche den Menschen bei Nacht nicht schlafen laßen, ich hatte noch etwas Geld u. suchte bald  weiter im Land zu komen, da aber die Reise zu Land sehr beschwert ist in den westlichen Staaten von Nord Amerika so setzte ich mich wieder aufs Dampfschiff u. fuhr den Strom noch 200 deutsche Meilen weiter aufwärts bis St. Louis wo ich eben jetzt noch bin, diese Reise dauerte wieder 9 Tage, hatten aber dabei viel kurzweile den wir hatten immer was neues zu sehen bald große Zucker Plantagen mit ihre Siedereien u. viele hundert Negern bald dieses bald jenes was uns Bewunderung u. Freude machte, doch am 10 Juny hatte das Fahren ein Ende u. ich landete in St. Louis an, wie es viele anderen ging so ging’s auch mir, den ich dachte bald Arbeit zu haben in einer Mühle aber da ich die Englische Sprache nicht verstand, so konnte ich keine bekommen, den die Meister in den Dampfmühlen sind alle Amerikaner, drei Wochen habe ich mich so herum getrieben, jetzt mußte ich mich zu einer Arbeit bequemen mochte sie heiß wie sie wollte, wir wurde jetzt in einer großen Seifensiederey Arbeit angeboten u. ich hielt es für das beste sie anzunehmen, es ist freilich etwas unsauber in dem Geschäft was hilft es aber in den Augenblick muß ich zufrieden sein den es geht hier vielen Professionisten nicht besser als das sie gemeinste Tagearbeit thun müßen, noch wer nur Arbeiten gebrauk hat u. gesund ist der verdient auch Geld u. wen es das niedriste Geschäft ist, ich habe in der Frabrick die Stelle als Ingenuer den es wird alles mit Dampf gekocht u. an Lohn monathl 10 Amerikanische Thaler (das sind nach preußischen Gelde 15 (?hd) dabei Kost wie sie in Deutschland nie zu finden ist, der Arbeits Manns steht sich hier viel besser als in [unleserlich] wer hier 3 Tage schafft kann die ganze Woche mit Frau u. etliche Kinder leben die hauptsache dabei ist die Gesundheit, wenn nur hier in den westlichen Staaten die verschiedenen Fieber nicht so herrschten, den vor Erkältung des Körpers muß man sich acht nehmen, ich will hier auch nicht lang bleiben, sondern in die nördlichen Staaten gehen wo das Klima gesunder ist doch dieses Jahr bleibe ich in St. Louis den die Taschen sind leer ich muß jetzt anfangen zu schließen den das Papier geht zu Ende u. ich muß zum Bier gehn.  Ich grüße Euch alle Bekannte u. Verwannte die Michelsdorfer überhaupt ich wollte ihnen auch eine Brief schreiben aber es kost Euch zu viel Postgeld den über See kann ich sie nicht frei machen.  Lebt also wohl, seid u. bleibt alle recht gesund ich verbleibe mit wahrer Liebe Euer gehorsame Sohn.

 

Ernst Leistritz