Dieter Seemann

 

Erlebnisbericht

(Erinnerungen 57 Jahre nach der eigenen Vertreibung )

Mein Vater, Rudolf Seemann, war Bäckermeister und Inhaber der Bäckerei und Konditorei in Glatz/Schles., Mälzstr. 30.

Obwohl er im Oktober 1944 verstarb, führte meine Mutter das Geschäft als Backwaren-Verkaufsstelle weiter.

 

Im August 1945 bekamen wir einen polnischen „Besitzer" und der Bäckerei­betrieb wurde unter seinem Namen wieder aufgenommen. Die Aussiedler-Transport-Sammelstelle für Glatz und Umgebung im ehemaligen Finanzamt, der alten Holzplan-Kaserne, war für alle Deutschen die gefürchtete Kontrollstelle, an der den „Umsiedlern“ in der alten Reithalle die letzten Wertsachen abgenommen wurden.

 

Da das Geschäft meiner Eltern auf dem Weg zwischen dem Finanzamt und dem Hauptbahnhof lag, also direkt am Transportweg der „Aussiedler“ zum Verladebahnhof, boten sich viele Hilfsmöglichkeiten für die Flüchtlinge an. Der Transportweg ging ja quer durch die ganze Stadt. Ausgangspunkt war das Finanzamt, dann ging es weiter durch folgende Straßen:

- die Louisenstr.

- die Minoritenstr.

- über den Rossmarkt

- vorbei am Stadtbahnhof

- durch die Mälzstr.

- die Fischerstr. hinauf und dann zum Hauptbahnhof.

Dort standen dann auf dem Bahnsteig Richtung Dittersbach/Neurode (2.Gleis) die Viehwagen für den Abtransport bereit.

Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir als Kinder gepackte Handwagen und ähnliche Transportmöglichkeiten in die Evakuierungskolonnen auf dem Weg zum Bahnhof einschleusten.

 

An dieser Stelle war ja die gefürchtete Kontrolle durch die polnischen Behörden die es ja auf Wertsachen abgesehen hatten, vorüber. Durch Ablenkungsmanöver an einer bestimmten Stelle, meistens an der Königshainer Str., wurden die polnischen Aufsichtskräfte abgelenkt, und wir konnten uns unbemerkt mit bereitstehendem Gepäck, das vorher bei meiner Mutter hinterlegt worden war, in den Konvoi einschleusen.

 

Viele ehemalige Kunden des Geschäftes meiner Eltern kamen auch mit besonderen Wünschen zu meiner Mutter.

So wurden meiner Mutter oft viele Dokumente, Wertsachen (Schmuck) und mitunter auch ansehnliche Geldbeträge anvertraut, die sie dann ,nebenberuflich' in verschiedene Backwaren verwandelte. So kam manches angeschnittenes Brot, mit bedeutendem Inhalt als Marschverpflegung verkleidet, auf den Transport und dessen Einlagen wieder in die Hände der ursprünglichen Besitzer.

 

 

Erlebnisbericht 2

Meine Eltern besaßen in Glatz eine Bäckerei. Mein Vater starb im Krieg 1944, meine Mutter führte nach Beendigung des Krieges die Bäckerei mit behördlicher Genehmigung weiter. Die Bäckerei bekam im Sommer 1945 dann einen polnischen Verwalter. Nachdem dessen Sohn mit Ehefrau zugezogen war (das alles in einer 2-Zimmerwohnung), wurden wir mit Unterstützung der polnischen Miliz ersatzlos an die frische Luft gesetzt und zogen in eine freie Wohnung im Hause meiner Großeltern. Diese wurden 1946 ausgewiesen.

 

Meine Mutter erarbeitete sich unseren Lebensunterhalt durch Näherei, vorwiegend für die noch in Glatz lebende russische Bevölkerung. Deswegen genossen wir noch etwas Bleiberecht und etwas Schutz. Zu dieser zeit erhielt ich von einer im Ruhestand lebende Lehrerin meiner Mutter Privatunterricht. Schulunterricht für Kinder gab es nur in polnischer Sprache und war für Deutsche verboten. Aus dem Haus meiner Großeltern wurden wir ebenso schnell rausgeschmissen wie aus der Bäckerei. Wir saßen immer aufgepackten Sachen, denn es geschah ja unverhofft und immer in kürzester Zeit (etwa 2 Std.). Wir zogen in eine Kellerwohnung in der Reichensteiner Str.

 

Inzwischen war es Sommer 1947. Meine Mutter wurde aufgefordert, die polnische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Das lehnte sie ab. Daraufhin wurden wir aufgefordert, uns mit unserem Gepäck zu einem bestimmten Zeitpunkt im Sammellager, dem ehemaligen Finanzamt in Glatz, einzufinden. Nach ca. 3 Tagen wurde ein Transport zusammengestellt, denn inzwischen waren aus der ganzen Grafschaft weiter Familien aus ihren Häusern, Grundstücken und Höfen vertrieben worden und im Lager angekommen. Das Glatzer Finanzamt war eine alte Kaserne und wir mussten eines Morgens mit unserem Gepäck vor der Reithalle antreten und wurden an einer langen Reihe von aufgestellten Tischen zu eine abschließenden Krontolle unserer Sachen vorbeigeschleußt. Wertgegenstände, Geld u. sonstige Besonderheiten wurden uns abgenommen. Meine Mutter mußte zur Leibesvisitation. Mir gelang es indessen, einen Handwagen, der Besonderes enthielt (persönl. Papiere, Geld Schmuck und den Nähmaschinenkopf) an der Kontrolle vorbei zu schmuggeln. Wir waren die ersten in der Reihe. Dann ging es den Weg durch die Straßen der Stadt zum Hauptbahnhof. Am Neuroder Bahnsteig stand ein Zug, bestehend aus Viehwaggons. Nur gut das es Sommer war und wir in den Waggons keine Öfen brauchten, obwohl teilweise welche vorhanden waren. Nach weiteren 2 Tagen ging dann der bewachte Transport auf Reisen. Bei kurzen Zwischen- und Rangieraufenthalten wurden wir mit Getränken (Tee u.Malzkaffee) sowie trockenem Brot durch Helfer versorgt. Die Strecke verlief über Neurode, Waldenburg, Hirschberg, Bunzlau, Sagan. Kohlfurt zur Grenze. Über die Neiße ging es nach Forst in der Ostzone und von dort in ein Lager in Finsterwalde. Nach einem 14-Tage-Aufenthalt (zwecks Quarantäne, Entlausung und ärztlicher Untersuchung) wurden wir familienweise auf Gemeinden im südlichen Teil des Landes Brandenburg verteilt. Den Lagerausweis besitze ich immer noch!

 

Im Nachhinein kann ich feststellen, dass die späteren Transporte alle nur in die damalige Ostzone geleitet wurden!

 

(Dieter Seemann)

Glatz, Rathaus 1985
Glatz, Rathaus 1985

 

 

Erlebnisbericht 3

Transporterlebnisse

Den Weg vom Glatzer Finanzamt, das als Sammellager fungierte, führte durch die Stadt auf immer dem gleichen Weg zum Hauptbahnhof. Schwierig wurde die Strecke zwischen dem Rossplatz an der Minoritenkirche und dem Platz vor dem Stadtbahnhof und dann in der Fischerstrasse. Dort stiegen die Straßen an. Die Familien mussten ja ihr dürftiges Gepäck selbst befördern. Froh waren diejenigen, die über Handwagen oder Karren verfügten. Meine Mutter hatte sich Von einem deutschen Stellmacher schon lange vorher unter unsere großen Reisekörbe Fahrgestellen mit Deichseln machen lassen. Man saß ja immer auf gepackten Sachen. So verfügten wir, meine Mutter und ich, über zwei fahrbare „Untersätze", die auch noch beladen werden konnten. Es war ein schwieriger Gang durch die Stadt - Glatz hieß ja schon immer „Berg- und Festungsstadt" - also war der Gang durch die Stadt nicht leicht für alle. Uns führt er zudem noch vorbei an unserem alten Heim! Schwieriger noch war es für diejenigen, die erst noch aus den umliegenden Dörfern in die Stadt mussten.

 

Auf dem Hauptbahnhof angekommen, wurden wir auf die einzelnen Waggons verteilt. Je nach Größe einzelner Familien wurden auf jeden einzelnen Waggon etwa 20 bis 30 Personen (mit Gepäck) verteilt und je ein Waggonältester benannt. Die ganze Zeit wurden wir von der polnischen Miliz begleitet u. bewacht.

 

Die Fahrtstrecke der Eisenbahnzüge war wohl immer die Gleiche! Verpflegung wurde keine bereitgestellt. Die Familien mussten dafür selbst sorgen, es gab nur Getränke in unregelmäßigen Abständen. Die Notdurft mussten wir beim Halt auf freier Strecke verrichten. Die Weiterfahrt des Zuges zeigte der Lokomotivführen mit einem kräftigen Pfiff von der Lokomotive an.

Der Grenzübergang über die Lausitzer Neiße bei Forst in die sowj. Besatzungszone war dann sofort zu erkennen. Auf der polnisch besetzten Seite stand das Unkraut auf den Feldern mannshoch bzw. sie waren überhaupt nicht bestellt. Nach dem Grenzübergang war schon auf den Bahnhöfen und entlang der Strecke jeder Fleck in einen Garten umgewandelt. Es war ein himmelweiter Unterschied zu erkennen. Im Lager, das mit Stacheldraht umzäunt war, bekamen wir dann warmes Essen und wurden medizinisch versorgt (Impfung, Duschen und Entlausung). Der Lagerausweis ist noch in meinem Besitz.

(Dieter Seemann, *1936 in Glatz/Schlesien)

 

Heimat ( - Gedanken zurück)

Was ist Heimat ?

Heimat ist mehr, als nur Wohnung zu haben!

- das sind alle Wege, die einer gegangen ist,

- alle Bäume, in denen Vögel gesungen haben und durch die der Nachtwind gefahren ist,

- das sind die Äcker und die Wiesen, die Berge und die Bäche rundherum.

Das sind aber auch die Menschen, die Lebenden ebenso die Toten, die dieselbe Luft mit uns atmen oder geatmet haben.

Heimat, das ist all unsere Liebe zu dem Fleckchen  Erde, an dem wir geboren wurden und zu dem uns unser ganzes Leben lang die Sehnsucht wieder hin zieht.

Man könnte noch mehr dazu sagen, aber ich meine, das genügt schon... !